Redundanz im Backcountry

Weil wir ja Fans von Downdays sind, und uns Layout und Inhalt immer wieder in leise Verzückung werfen, freuen wir uns natürlich, auch diese Saison wieder die Vielschichtigkeiten des Winters betrachten zu dürfen. Diese Expertenartikel erscheinen in der Printausgabe des Magazins, und hernach auch hier.

Irgendwo im vorderen Teil der ersten Downdays Ausgabe des Winters 15/16 beschreibt Dane Tudor einen Tag, den er sich höchstwahrscheinlich anders vorgestellt hat. Und bei allem “Es gibt ja auch eine positive Seite der Medaille” muss gesagt werden, dass bis heute jeder, den ich kenne – mich inkludiert – auf jede Sportverletzung liebend gerne verzichtet hätte, hätte er oder sie die Wahl gehabt.

Aber das Leben ist bekanntlich kein Streichelzoo, und oft genug muss man mit den schmerzhaften und langwierigen Konsequenzen jungen und risikobehafteten Verhaltens leben. Ja, genau. Das macht das Leben ja erst lebenswert.

Zurück zu den nüchternen Fakten. Dass ein Ausflug ins winterliche Backcountry mehr Potential für Desaster (ich bin mir sicher, dass irgendwo in Finnland eine obskure Death Metal Band diesen Namen trägt) als ein frühlingshafter Nachmittag im Biergarten in sich birgt, liegt nahe. (Bei näherer Betrachtung vielleicht nicht. Hm.)

Was können wir also tun, um Horrorszenarien weitgehend vorbereitet entgegenzutreten? Gut vorbereiten.

“Redundanz ist das zusätzliche Vorhandensein funktional gleicher oder vergleichbarer Ressourcen eines […] Systems, wenn diese bei einem störungsfreien Betrieb im Normalfall nicht benötigt werden.” (sagt Wikipedia, und wir stimmen zu.)

Vor jedem Trip in den alpinen Winter, und sei es nur ein schneller nachmittäglicher Hikeausflug aus dem Skigebiet heraus, läuft im Hinterkopf ein immer gleicher Gedankengang ab: Was kann schiefgehen und wie werde ich darauf reagieren?

Je größer das Projekt, je mehr unsichere Faktoren ins Spiel kommen, desto aufwändiger werden die Überlegungen und die notwendigen Vorbereitungen. Ad hoc fallen mir vier Bereiche ein, die ich – mal genauer, mal oberflächlicher – überdenke.

1. Mit wem bin ich unterwegs?
Abgesehen von Solounternehmungen ist das Buddy System eine effektive Möglichkeit, redundant am Weg zu sein. In losen Paaren fährt man gegenverantwortlich – jeder weiß, wo der Partner gerade ist und was er oder sie gerade macht. Zusätzlich können sich Partner in ihren Kompetenzen gut ergänzen und stärken.

“Kompetenzen”, “ergänzen”, “stärken”. (Mit Mel und Basti unterwegs. Serles 2014)

2. Wie kann ich kommunizieren?
Die wichtigste Überlegung ist, ob und wie ich eine Rettungskette initiieren kann: Kann ich die Außenwelt kontaktieren und notwendige Informationen übermitteln? Möglichkeiten, die Rettungskette einzuleiten sind: Mobiltelefon. Geht das wegen mangelnder Netzabdeckung nicht, dann Funkgerät. Kein Funkgerät und keine Trucker-CB-HelloRubberDucky Skills? Satellitentelefon. Und bevor die leicht schnaufende Argumentation “Ja, aber wer hat denn schon ein Satellitentelefon und überhaupt, was das alles kostet?” beginnt. Das stimmt. Mit einem Satellitentelefon telefonieren ist teuer, aber muss, wenn andere Kommunikationskanäle nicht zur Verfügung stehen, eingeplant werden.

3. Welche Verletzungen kann ich mit meinen Erste Hilfe Fähigkeiten abdecken?
Nein, es reicht natürlich nicht, mit autoritärer Stimme laut “Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt!” rufen zu können, um medizinische Kompetenz zu erlangen. Genauso wenig darf man sich zu wenig zutrauen. Als Guide oder alter Fuchs ist man regelmäßig bei Unfällen dabei, und erlangt über die Jahre eine gewisse Fähigkeit, die Natur und den Schweregrad einer Verletzung einzuschätzen. Aber erst bei Unfällen, die nicht in Skigebietsnähe oder in vom Helikopter leicht erreichbarem Gelände passieren, muss man selbstverantwortlich handeln. Dann hilft es, wenn man weiß wie man einen SAM Splint anlegt oder über das eigene Geschrei oder das des Verletzten entscheiden kann, ob Transport oder weitere Belastung möglich ist.

Uncle Sam wants you to use a SAM splint.

4. Wie kann ich Verletzte transportieren?
Oder kann ich sie überhaupt transportieren? Im Idealfall glüht ein grantiger Liftler die nahegelegene Piste zu mir und schleift mich mit seinem Skidoo zur bereitstehenden Rettung. Leider erlaubt das Gelände weder Pistengerät noch Skidoo. Also Helikopter rufen. Shit, kein Flugwetter. Naja, Bergrettung anrufen, die sind austrainiert und in einer guten Stunde hier. Kein Empfang. Wenn also redundante Systeme langsam dünn werden, hilft es, den Abtransportmöglichkeiten mit eigenen Mitteln, also zum Beispiel einer Biwaksackschleife, zu kennen und anwenden zu können.

Bleibt zuletzt die Frage, inwiefern das “Abenteuer” darunter leidet, wenn man im Vorfeld versucht, so viele Risikofaktoren wie möglich zu minimieren. Ich denke, diese Frage kann jeder erst dann leicht beantworten, wenn eine Scheisssituation wirklich eintritt und eine sehr persönliche Angelegenheit wird.

Über den Autor
Stephan Skrobar ist staatlich geprüfter Skilehrer und Skiführer, fährt im Fischer Freeski Team, ist Alpinausbildner für den steirischen Skilehrerverband, Team Manager des Pieps Freeride Teams und Leiter vom ‘Die Bergstation Freeride & Alpin Center’. Stephan betreibt auch eine Kommunikationsagentur und liebt gepflegten Punkrock. Beide (Stephan und Punkrock) sind nicht immer ernst zu nehmen.